Wer die Nachtigall stört –

Elektroden im Gehirn der Vögel sollen Erkenntnisse über Autismus bringen

Zwei Berliner Forscherinnen der FU, die auch an Vögeln experimentieren, wurde ein Antrag abgelehnt, 35 Nachtigallenküken aus der freien Natur zu entnehmen, sie großzuziehen, ihnen dann Computerchips ins Gehirn zu implantieren, um so zu Erkenntnissen über das Krankheitsbild autistischer Kinder zu gelangen. Nachtigallen erlernen ihre Lautsprache. Wie sie ihre Rufe, ihr Singen koordinieren, sollte mit Hilfe dieses Versuchs ergründet werden.

Der Versuchsantrag erreichte im November 2017 die Medien, nachdem die Senatsverwaltung für Umwelt das Herausnehmen aus der Natur von Küken einer geschützten Art in einem Sonderantrag nicht genehmigt hatte und  die Wissenschaftlerinnen deswegen vor Gericht ziehen wollten.

Der Reihenfolge nach:

Versuch vom LaGeSo genehmigt, mit Zuchtvögeln

Eine schriftliche Anfrage vom 31.01. des Abgeordneten Dr. Michael Efler (Die  Linken) zum Thema Tierversuche mit Nachtigallen ergab unter anderem Folgendes:

– Die 35 Nachtigallen sollten der Grundlagenforschung dienen. (Die Grundlagenforschung ist zweckfrei, es reicht, wenn ein möglicher Wissenszuwachs plausibel erklärt wird.) – Es sollten neurobiologische Prozesse untersucht werden. – Zur Entnahme aus den Nestern, maximal zwei Küken aus einem Nest, sollten die Küken drei Tage alt sein. Berücksichtigungen oder Vorkehrungen für die Eltern waren nicht geplant. – Im Erwachsenenalter sollten die Tiere 21 Tage im Versuch eingesetzt werden. – Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) stufte die OP der Tiere als mittelgradig schwer ein. (Laut Zeitungsberichten sollten die Tiere, wenn sie in der freien Natur nicht mehr lebensfähig seien, getötet werden.) Das LAGeSo hat den Tierversuch grundsätzlich genehmigt, aber keine  Ausnahmegenehmigung gemäß § 20 der Tierschutzversuchstierordnung erteilt. Keine aus der Natur entnommenen Tiere dürfen im geplanten Tierversuch verwendet werden, sondern nur gezüchtete Nachtigallen.

Diese Einschränkung entging der Wissenschaftlerin laut Tagespiegel nach eigenen Angaben, eine Begründung, die schwer nachzuvollziehen ist.

Antrag Nachtigallen der Natur zu entnehmen abgelehnt

Deshalb stellte sie als nächsten Schritt im Juli 2017 bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz den Antrag, „bis zu 50 Nachtigallen der Natur, für Versuchszwecke zu entnehmen“. Eine Sondergenehmigung kann aber nach EU- und Bundesrecht nur erteilt werden, wenn nachweisbar keine Zuchttiere für den betreffenden Versuch verwendet werden können. Laut Senatsverwaltung hatte die Antragstellerin unter anderen diesen Nachweis trotz Aufforderung nicht erbracht. Ihr Antrag wurde deshalb am 7. November abgelehnt.

Kampf um 1.5 Millionen Euro

Am 11. März 2018 ist nun ein neuer Antrag gestellt worden. Jetzt sollen drei Nachtigall-Männchen (kurzzeitig) der Natur entnommen werden, um die Weibchen zu begatten. Um eine eigene Zucht aufzubauen , wurden  zwischenzeitlich drei Weibchen erworben, männliche Nachtigallen stehen zeitnah nicht käuflich zur Verfügung. Die Forscherin steht unter Zeitdruck, denn bald ist Paarungszeit und eine EU Förderzusage von 1,5 Millionen € für das Forschungsprojekt ist zeitlich und an sie gebunden. Der Aufbau einer eigenen Zucht ist die einzige Chance den Versuch doch noch durchzuführen.

Streit hinter verschlossenen Türen

Nun beschäftigt das Thema seit dem 12. März wieder die Presse.  Der Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) sorgt sich um den Wissenschaftsstandort Berlin, der Regierende Bürgermeister forderte eine schnelle Klärung. Ein mit Krach kürzlich initiiertes Gespräch der beteiligten Parteien hinter verschlossenen Türen brachte  folgendes Ergebnis: Von der Wissenschaftlerin der FU muss belegt werden, dass der Bezug von männlichen Zuchttieren nicht möglich ist,  im Gegenzug wird die Umweltverwaltung den neuen Antrag zügig prüfen.

Koalitionsvertrag ade?

Es ist erstaunlich, dass  Politiker sich für ein Tierversuchsvorhaben mit einer Förderung von 1,5 Millionen € des Europäischen Forschungsrats mit Vehemenz einsetzen, anstatt die Ziele ihres eigenen Koalitionsvertrags mit der Aussage „Berlin wird Forschungshauptstadt für Ersatzmethoden“ weiter zu verfolgen.

“Wer die Nachtigall stört”

ist ein ergreifender Weltbestseller, in dem es um Rassismus geht. Rassismus und Speziesismus  liegen eng beieinander. Sie zeigen die Verachtung von Leben, die Einteilung in wertes und weniger wertes Leben. Unrecht hat viele Gesichter.

In seiner Unfassbarkeit, seiner Ungeheuerlichkeit steht der Versuchsantrag beispielhaft für alle Tierversuche. Nicht umsonst die fehlende Transparenz. Was geht in diesen Köpfen vor? Tierversuchsfreie Forschung macht riesige Fortschritte. Forscher der Grundlagenforschung können nur durch zu schaffende Gesetze ausgebremst werden. Die Freiheit der Forschung ist nicht endlos. Sie endet da, wo Unmenschlichkeit beginnt und die Achtung vor dem Leben mit Füßen getreten wird.

Stellungnahme Staatssekretär Stefan Tidow im UVK-Ausschuss am 15.03.2018