„Die Geschichte des unsterblichen Fisches“

Viele unserer alltäglichen Produkte, die in der Industrie oder der Landwirtschaft
verwendet werden, enthalten Chemikalien. Ihre Hersteller müssen den gesetzlich vorgeschriebenen Beweis erbringen, dass diese für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. In der Regel geschieht das mit bestimmten, vorgeschriebenen Tests, d.h. Versuchen an Tieren. Tausende von Fischen sterben hierfür jährlich einen grausamen Tod, um die Wirkung auf Wasserwirbeltiere zu testen.

Das Wasserforschungsinstitut Eawag mit Sitz in der Schweiz hat einen Fischzelllinientest entwickelt, der nun von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als neuste Leitlinie im Bereich der Umwelttoxikologie freigegeben wurde. Der Eawag-Test ist weltweit der erste Test, der Versuche an lebenden Fischen durch den Zelllinientest Vergangenheit werden lässt und große Anerkennung findet.Neben dem großen Tierleid, welches der alte, vorgeschriebene Test verursachte, erspart der neue dazu auch noch Ressourcen: Zeit, Wasser und Chemikalien.

Das Interesse der Industrie ist groß.“ Wenn wir also beobachten, wie die Kiemenzellen durch eine Chemikalie geschädigt werden, können wir vorhersagen, wie diese Chemikalie einen lebenden Fisch beeinflussen würde,“ sagt Prof. Kirstin Schirmer. Sie ist maßgeblich an der Forschung beteiligt gewesen.

Was so einfach klingt, benötigte lange Jahre der Erforschung und Geld. Die Idee Kirstin Schirmers zu diesem tierleidfreien Testverfahren geht bis in die Mitte der 90iger Jahre zurück. In dieser Zeit schrieb Schirmer an ihrer Dissertation. Mit der gleichen Zelllinie, auf der die Methode heute basiert, arbeitete sie dann an der University of Waterloo, 100 km westlich von Toronto. Und diese Zelllinie geht auf ihren Doktorvater Nils C. Bols zurück.Er isolierte zum ersten Mal die Kiemenzellen der Regenbogenforelle und kultivierte sie, so dass sie nun unendlich oft multipliziert werden können.
2006 erhielt Kerstin Schirmer die Vergabe eines Projektvorschlags vom European Chemical Industry Council . (Cefic) Das war der Anlass für die Weiterentwicklung des heutigen, anerkannten, tierleidfreien Tests.

Kirstin Schirmer setzte dann ihre Forschung zunächst als Abteilungsleiterin am Helmholz – Zentrum für Umweltforschung in Leipzig fort, ab 2008 forschte sie bei der Eawag, Schweiz. 2009 stieg die Ingenieurin und Laborantin Melanie Fischer mit ins Boot.

In einer 2013 veröffentlichten Studie konnte das Team zum ersten Mal nachweisen: Über 30 Chemikalien erreichten die gleichen Toxizitätswerte wie der herkömmliche Fischtest.
Der Beweis, dass die Methode funktioniert, musste nun auch in anderen Laboren in einer Ringstudie erbracht werden. 6 Laboratorien aus Hochschule und Industrie nahmen von 2013 bis 2014 daran teil. Die Methode erwies sich als vergleichbar und wiederholbar.

Die Studiendaten ermöglichten 2018 die ISO-Zertifizierung zu bekommen und nun, 2021, die Validierung der OECD.
Von der Vorlage bei der OECD bis zur Validierung vergingen eine Rekordzeit von zwei Jahren. In dieser Zeit wurde das Verfahren noch einmal erneut überarbeitet, um Vorschläge und Meinungen von Experten aus verschiedenen Ländern und Organisationen zu berücksichtigen.
Unterstützt wurde das Team von internationalen Vertretern aus der Schweiz und Norwegen.

Die Daten zeigen uns den langen, erfolgreichen Weg tierfreier Forschung, die sich immer noch eng mit dem Tierversuch messen lassen muss, der bekanntlich nie validiert wurde.
Viel zu wenig Geld fließt in die tierfreie Forschung, so dass Beharrlichkeit, Können und Durchsetzungsvermögen der Forschenden höchste Werte darstellen.

Quelle: 24.06.2021, Eawag-Test mit Fischzellen ersetzt Tierversuche