Im Rahmen unseres Bündnisses „Berlin gegen Tierversuche“, in dem wir uns gemeinsam mit den Ärzten gegen Tierversuche e.V. – AG Berlin und dem Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V. Berlin zusammengeschlossen haben, haben wir uns mit dem Vorsitzenden der Tierversuchskommission (TVK) in Berlin getroffen.
Im persönlichen Gespräch erfuhren wir, dass der Vorsitzende bereits seit 1987, also seit dem Gründungsjahr der Berliner TVK, Mitglied der Kommission ist und in dieser Zeit mehrfach zum Vorsitzende gewählt wurde. Der Vorsitzende, dessen Namen wir aufgrund von Schutzrechten nicht nennen dürfen, hat lange Zeit als Fachtierarzt für Pharmakologie und Toxikologie bei einem Pharmaunternehmen gearbeitet. Zum Beginn unseres Gespräches stellte er gleich klar, dass er Tierversuche für absolut notwendig hält.
Nur wenig Zeit für Durchsicht von Tierversuchsanträgen
Nach Auskunft des Vorsitzenden besprechen die Mitglieder der TVK alle 14 Tage im Beisein von mindestens zwei Vertretern des LaGeSo die Tierversuchsanträge, die ihnen bereits im Vorfeld durch die Behörde mitgeteilt wurden. Pro Sitzung werden 10 – 15 Anträge besprochen, wobei eine Sitzung rund 4-5 Stunden dauert. Demnach bleibt den Mitgliedern ca. ein Tag zur ordentlichen Prüfung eines Antrages, welcher im Schnitt zwischen 30 – 50 Seiten umfasst. Bedenkt man, dass die Kommission ehrenamtlich arbeitet, dürfte die tatsächlich aufgewendete Zeit bei ein bis zwei Stunden pro Antrag liegen, was sich auch mit den Angaben des Vorsitzenden in unserem Gespräch deckt.
Ob eine sorgfältige Prüfung und Bewertung der Anträge in Anbetracht des hohen Seitenumfangs und der Komplexität der Versuchsvorhaben tatsächlich erfolgt, bezweifeln wir nach unserem Gespräch. Dies würde nicht nur viel Zeit für eine intensive Recherche bedeuten, sondern auch Sachverstand in allen wissenschaftlichen Bereichen voraussetzen.
Kaum ein Antrag wird abgelehnt
Dennoch schlägt die Kommission der Behörde bei ca. 95 % der Anträge – so die Schätzung des Vorsitzenden – Änderungen des Antrags vor. Vorschläge beinhalten z.B. eine Reduzierung der Anzahl der Tiere oder die Tötung eines Tieres früher als vorgesehen vorzunehmen, da das Tier zu diesem Zeitpunkt schon sehr schweren Schmerzen und Qualen ausgesetzt sein wird. Kommt das LAGeSo der Änderungsempfehlung nach, müssen die Wissenschaftler*innen den Antrag erneut stellen und den normalen Genehmigungsprozess durchlaufen. Dies bedeutet mehr Aufwand und zusätzliche Kosten, die jedoch nicht von den Antragssteller*innen getragen werden müssen. Es wird so gut wie kein Antrag abgelehnt.
Kommission sieht sich nicht zuständig für Koalitionsvereinbarungen
Obwohl der Berliner Senat im Koalitionsvertrag vereinbart hat, Tierversuche auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren, sieht es der Vorsitzende der TVK nicht als Aufgabe der Kommission an, diese Vereinbarungen mitzutragen. Es gibt auch keine Bestrebungen, mehr Transparenz zu schaffen, welche Tierversuche beantragt, genehmigt oder abgelehnt werden.
Insgesamt war unser Gespräch mit dem Vorsitzenden der Tierversuchskommission mehr als ernüchternd. Uns ist bewusst, dass die Kommission nicht allein für mehr Transparenz und mehr Tierschutz sorgen kann. Hierfür können aus unserer Sicht nur gesetzliche Vorgaben geschaffen werden. Auch erschien uns das Interesse des Vorsitzenden an positiven Veränderungen hierfür mehr als gering. Trotzdem es sich der Senat zur Aufgabe gemacht hat, Berlin zur Forschungshauptstadt für Ersatzmethoden zu machen, scheint in den Köpfen von Politik und vor allem vieler Wissenschaftler der Tierversuch nach wie vor als Goldstandart verankert zu sein.
Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Tierversuchskommissionen für Forscher*innen im hohem Maße eine Alibifunktion einnehmen, Tierschützer würden großen Einfluss auf Entscheidungen über Tierversuchen nehmen. Sogenannter Tierschutz, u.a. Schmerzmanagement, Versuchstierzahlen und Abbruchkriterien sind unter „Aufgaben der Kommission“ klar definiert. Für diesen Tierschutz zahlt der Staat nur eine Aufwandsentschädigung. Antragsteller können ohne Nachteile ihre Anträge von der Kommission durch Nachfragen oder Auflagen so bearbeiten lassen, bis eine Genehmigung erfolgen kann. Von diesem kostenlosem „Service“ der Tierversuchskommission profitieren ca. 95 % aller Antragsteller. Zudem dürfen sie dann behaupten, Versuche würden strengstens im Vorfeld beurteilt. Mitglieder der Tierversuchskommissionen sind zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Transparenz findet in keiner Weise statt.
Das Gespräch hat uns einmal mehr gezeigt, wie wichtig die Arbeit der TierVersuchsGegner e.V. und des Bündnisses „Berlin gegen Tierversuche“ ist. Es gibt noch viel zu tun, einen Paradigmenwechsel zu erreichen und gute, ethisch einwandfreie Forschung zu betreiben.